Artikel 1. Österreich ist eine marktkonforme demokratische Republik. Das Recht geht von der Wirtschaft aus. Die Wirtschaft und ihr Wohlergehen ist das höchste Gut. Ihr Wachstum steht über allen anderen Staatszielen und ist um jeden Preis durchzusetzen.
Ungefähr so stellen sich Kern und Kurz und eigentlich alle sozialdemokratischen und konservativen Parteien Europas eine anständige Verfassung vor. Wachstum um jeden Preis, vor dem Wohle der Menschen, vor dem Ende von Armut, vor der Vollbeschäftigung: Wachstum.
„Geht es der Wirtschaft gut, geht den Menschen gut“ ist das Dogma, dem sie verfallen sind. Bedingungslos und ohne je inne zu halten verfolgen sie diesen Weg. Egal, dass die letzten Jahrzehnte gezeigt haben, dass es den Menschen unter dieser Politik nicht besser geht. Egal, dass die Wachstumszahlen der Wirtschaft alles andere als berauschend waren. Egal, dass die Staatsverschuldung ständig steigt und egal, dass unsere Umwelt dem Wirtschaftsoutput geopfert wird.
Verwundern braucht uns das nicht. 30 Jahre Lobbying von Konzernen und Wirtschaftsverbänden haben nicht nur bei dem Volk funktioniert. Auch die Politiker sind nicht verschont geblieben.Und so haben wir nun Politiker so leer wie ihre Worthülsen, die nicht nur keine eigene Vision mehr haben, sondern auch glauben, dass dies etwas Schlechtes ist. Ideologie wird von allen Parteien, Medien und Verbänden als Teufelswerk abgelehnt. Ein ideologieloser Politiker ist der Traum der Reichen und Mächtigen dieser Welt. Er akzeptiert die Alternativlosigkeit des Status quo als gottgegeben und wird jede Maßnahme zur Besserstellung der Großunternehmen und ihrer Besitzer bedingungslos umsetzen. Er ist nicht getrieben von eigenen Vorstellungen und Werten und wird auch nie inne halten um zu überlegen, ob das alles Sinn ergibt. Sein Gegenpart würde aus Überzeugung mit Vorstellungen darüber, wie Gesellschaft, Wirtschaft, oder die Welt aussehen soll handeln, aber so jemand ist für die Wirtschaftsbosse nicht zu gebrauchen.
Und so ist die angestrebte Verfassungsänderung von SPÖ und ÖVP, die Wachstum als Staatsziel festlegen soll, auch nur ein weiteres Stück in der gleichen Symphonie. Abgesehen davon, dass alle Verfassungsexperten den Vorschlag in der Luft zerreißen, weil er schwammig und mutlos ist, ist er nur mehr vom ständig gleichen, alternativlosen Wirtschaft-zuerst-Dogma. Während immer mehr Menschen klar wird, dass der Neoliberalismus, mit seinem ständigen Zwang nach mehr und mehr Wachstum schon lange an alle Grenzen stößt, wird in der Politik, im Parlament und in den Medien de facto noch nicht einmal darüber gesprochen.
Im Jahr 1946 Wirtschaftswachstum als Staatsziel, über das Wohlergehen von Mensch und Umwelt in die Verfassung zu schreiben könnte ich nachvollziehen. Dies im Jahr 2017 zu machen ist an Dummheit wohl kaum zu überbieten.