Warum Austeritätspolitik nicht funktioniert hat und auch diesmal wieder nicht funktionieren wird.
Gefühlt eine Ewigkeit sind die Eurokrise und die damit verbundene Sparpolitik her, obwohl gerade einmal 15 Jahre seither vergangen sind. Die Erinnerungen sollten daher eigentlich noch sehr frisch sein, aber vermutlich hat die hohe Krisenanfälligkeit unseres Systems uns schon zu sehr an die regelmäßigen Verwerfungen gewöhnt. Zusätzlich lässt uns der Dauerzustand Krise auch gar keine Zeit mehr zum Verschnaufen und Nachdenken über ebendiese.
Anders lässt es sich nur mit Wahnsinn erklären, dass wir so wenige Jahre nach den Erfahrungen der Austeritätspolitik und ihrem bis heute wirkenden fatalen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen, den genau gleichen Weg wieder beschreiten mit dem Europa Süden so furchtbar scheiterte. Denn nur wer dem Wahnsinn verfallen ist, wird immer wieder das Gleiche tun und trotzdem andere Ergebnisse zu erwarten.
Dabei sollte es irrelevant, dass wir vieles der Sparpolitik nicht direkt selbst erlebt haben, sondern „nur“ unseren griechischen, spanischen oder portugiesischen Freunden zusehen musste, wie ihr Wohlstand dahingerafft wurde. Und gleichzeitig können wir auch auf eigene Erfahrungen zurückblicken, wie die Zerstörung unseres Pensionssystems durch Schwarz-Blau.
Die radikale Sparpolitik hat in den damals unter brutalen Budgetzwang des EU-Nordens und der EU-Institutionen gestandenen Ländern des europäischen Südens nicht nur zur massiven Verarmung von weiten Teilen der Gesellschaft von jung bis alt geführt. Sie hat gesellschaftliche und soziale Errungenschaften, für die teilweise Jahrhunderte gekämpft wurden, binnen kürzester Zeit hinweggefegt. Und sie hat eine ganze Generation von jungen Menschen in Arbeits- und damit oft auch in Perspektiven- und Hoffnungslosigkeit geworfen. Sie war der Beginn vom Ende des Vertrauens in die Demokratie und vor allem war die Austeritätspolitik der beginnenden 2000er-Jahre die Basis und Grundvoraussetzung für den Aufstieg der Rechten in Europa. Wer Sozialstaat, öffentlichen Wohlstand und Zuversicht in die Zukunft, die besten Garanten gegen Faschismus, vernichtet, rollt den Braunen den roten Teppich aus und wirft die Jungen aus dem fahrenden Auto direkt dort raus.
Die Sparpolitik war aber nicht nur aus politischen, sozialen und gesellschaftlichen Blickwinkel falsch, sondern auch aus wissenschaftlicher. So wurde zu Beginn der Kürzungen in Spanien angenommen, dass der Multiplikator für staatliche Ausgaben bei 0,5 liegt. Dieser Faktor sagt vereinfacht gesagt aus, wie stark sich jeder vom Staat eingesparte Euro auf die Wirtschaftsleistung auswirkt. Man verliert also gesamtgesellschaftliche betrachtet weniger, als man einspart. Klang absolut perfekt mit dem einzigen Problem, dass die positiven Effekte nicht und nicht einsetzen wollten. Nach einer Überprüfung des Multiplikators, diesmal mit Daten aus der Realität gefüttert, musste der Internationale Währungsfonds zugeben, dass der Faktor nicht bei 0,5, sondern bei zwischen 0,9 bis zu 1,7 lag. Das heißt für jeden Euro, den der Staat einspart, verliert das Land mindestens 0,9 Euro an Wirtschaftsleitung, im schlimmsten Fall sogar das Doppelte. Nimmt man den Durchschnitt, ergibt dieser 1,3 Euro und zeigt klar, dass die Strategie, sich aus einer Krise zu sparen zum Scheitern verurteilt ist.
Österreich befindet sich also in der bequemen Situation schon zu wissen, was der richtige Multiplikatorwert ist. Dazu kommt auch, dass andere Länder die schmerzliche Erfahrungen machen mussten, das Budgetkonsolidierung genau in so einer Phase nicht möglich ist. Wirtschaftswissenschaftler Roberto Perotti fasste diese Erkenntnis 2010 zusammen: „Die Belege für expansive staatliche Ausgabenkürzungen sind fehlerhaft, und die Zeit nach einer Rezession ist der schlechteste Zeitpunkt, um eine Haushaltskonsolidierung einzuleiten.“ Einziger Unterschied zu Österreich ist, dass wir uns nicht in der Zeit nach einer Rezession befinden, sondern noch immer mitten drinnen.
Die naheliegenste Erklärung, warum eine Regierung all das trotzdem machen würde, ist wohl wirklich der Wahnsinn. In einem Land, in dem Bachblüten und Homöopathie in Apotheken verkauft werden, braucht uns das aber auch nicht zu sehr wundern, denn von Realität und Fakten haben wir uns sowieso noch nie so schnell etwas vormachen lassen.
Es könnte aber natürlich auch absolute Unwissenheit sein, was aber bei einem, zumindest nach Eigendefinition, linken Finanzminister und Wirtschaftswissenschaftlicher, sehr unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich ist. Warum sonst ein Roter eine derart rasche neoliberale Sparpolitik fahren würde, der binnen Wochen Bildungskarenz, Klimabonus, Steubefreiuung für Solaranlagen oder Zuverdienstmöglichkeiten für Erwerbslose zum Opfer fielen, ist wohl nur mehr mit Rückgratlosigkeit zu erklären.
Am Ende ist es wohl eine Mischung aus all dem. Wissenschaftsfeinlichkeit, Beratungsresistenz, antisozialer und neoliberaler Überzeugung von zwei Koalitionspartnern und Karrierismus bei dritten. Wenn Mitregieren über allem steht, macht man schon mal die Politik der anderen.
Dass sich die FPÖ dabei die Hände reibt und der rote Teppich nur noch länger wird, scheint die Verantwortlichen nicht zu kümmern. Zu groß ist der Stolz, Blau-Schwarz verhindert und damit ihr wichtigstes Ziel schon am Tag 1 der Koalition erreicht zu haben.
Dieser Text wurde erstveröffentlicht in der Presse in einer gekürzten Version: https://www.diepresse.com/19632517/sparpolitik-und-ihre-fatalen-folgen