Wahrscheinlich bin ich ein österreichisches Kuriosum. Noch nie war ich in eine Schlägerei verwickelt. Ich habe nicht einmal eine beobachtet. Noch nie habe ich einen Menschen einen anderen schlagen gesehen. 34 Jahre lang. Und das obwohl ich am Land aufgewachsen bin, öfters mal auf Dorf- und Zeltfesten war, selber auch ab und zu über den Durst getrunken habe und durch meine Hautfarbe ganz klar als kein Dosiger („einer von da“) zu erkennen bin. Vor allem am Land schon ein guter Grund angestänkert zu werden, oder mal eine einzufangen. Ja, ich habe auch in meinem ganzen Leben noch nie einen rassistischen Kommentar mir oder anderen gegenüber gehört. Wie das passieren konnte, kann ich mir selber nicht ganz erklären. Die Wahrscheinlichkeit spricht klar dagegen. An diesem Faktum hat sich zum Glück bis heute nichts geändert. An meinen Schlägereierfahrungen schon.
Vor ein paar Tagen war es nämlich so weit. Wie schon öfters zuvor, haben wir in einer Einrichtung für Menschen auf der Flucht, einen kostenlosen WLAN-Hotspot errichtet. Es war ein Lager, bezeichnen kann man das beim besten Willen nicht anders, in dem 250 Männer unterschiedlicher Nationalitäten zusammen in Zelte gesteckt und de facto ihrem Schicksal überlassen wurden. Das sind Menschen, die unfreiwillig ihre Heimat verlassen mussten. Die oft knapp dem Tod entronnen sind. Die in ihren Ländern ungewollt in den Krieg gezogen wurden und töten mussten. Die ihre Familien und Kinder zurücklassen. Die Freunde und Verwandte begraben mussten. Die eine traumatisierende Flucht hinter sich haben. Gestandene Männer, bei denen Ehre und Stolz viel (oft viel zu viel) bedeutet, die aber schon lange kein Grund mehr zum Stolz sein haben. Männer die sich zurecht gedemütigt fühlen wenn sie um alte Schuhe betteln müssen. 250 Männer, auf denen viele und oft alle dieser Beschreibungen zutreffen.
Jedenfalls wissen wir alle, was passiert, wenn man 250 Männer mehrere Tage an ein und demselben Ort ohne konkretem Auftrag mit ihren Gedanken und Fäusten alleine lässt. Bei uns braucht es dafür normalerweise nur ein paar Bier und schon gibt es irgendeinen guten Grund jemanden in die Fresse zu hauen.
Während ich also gerade konzentriert an der Hardware rumbastelte tönte auf einmal immer lauteres Geschrei durch die Essenshalle und als ich mich umdrehte, schlug einer der Männer auf einem anderen kniend auf jenen ein. Dass das Personal der Einrichtung überhaupt nicht für seine neue Aufgabe ausgebildet war, merkte man daran, dass diese wie erstarrt am Rande standen und nicht wussten, was sie tun oder sagen sollten. Hätte ich länger überlegt, wäre ich vielleicht auch zu einem anderen Plan gelangt, aber so viel Zeit ließ mir mein Körper nicht. Ich packte den Mann in der dominanten Position und riss ihn von seinem unterlegenen Gegner. Seine Arme am Rücken fixiert redete ich auf ihn ein, ruhig zu sein. Grund gab es eigentlich in dem Moment keinen, denn währenddessen hatte sich sein Kontrahent eine Bierbank geschnappt und stürmte mit dieser hocherhoben auf uns beide zu. Ich warf meinen Berserker zur Seite und konnte gerade noch die auf uns einbrechende Bierbank abwehren und dem Typen, der mittlerweile Verstärkung hatte, wegnehmen. Dann rissen bei mir auch sämtliche Sicherungen und ich schrie die Wahnsinnigen in einem Tonfall und einer Lautstärke an, die ich selber gar nicht von mir kannte. Es scheint nicht sehr schön gewesen zu sein, denn sonst hätten die recht motivierten Schläger nicht von ihren Vorhaben abgelassen und immer wieder Sorry gesagt. Aber es sind inzwischen auch Freunde der Wütenden zur Hilfe gekommen und haben geholfen die Lage zu beruhigen.
So schnell wie das Ganze losging, war es dann auch wieder vorbei und wir begannen wieder an unseren HotSpots zu arbeiten. Im Nachinein stellte es sich heraus, dass der Grund für die Schlägerei, ein angebliches Vordrängeln bei der Essensausgabe war. Spielt aber auch überhaupt keine Rolle, denn jeder Anlass bringt diese, am emotionalen Limit lebenden Männer, zu überzogenen Reaktionen.
Ich brauche wohl nicht sagen, dass ich das nicht gut finde, aber das tun sie selber auch nicht. Sie können nur nicht mehr anders und das kann ich nachvollziehen. Das sind einfach keine rationalen Entscheidungen mehr. Das ist nur das Zeichen, dass sie nicht mehr können. Das sie´s nicht mehr durchdrucken. Würde ich auch nicht, wenn ich in einem Zelt mit sieben anderen Männern leben müsste, von denen die Hälfte mich nicht versteht. Ich würd´s einfach nicht aushalten und könnte vielleicht irgendwann auch für nichts mehr garantieren.
Eine Kollegin von uns war während dieser unschönen Szenen nicht dabei und kam erst eine halbe Stunde später wieder zu uns und ein weiterer von uns erzählte ihr von den Geschehnissen mit dem Kommentar: „Also beim Fayad merkt man schon, dass er aus Oberösterreich kommt. Bist du deppad, wie der da reingegangen ist.“ Meine Kollegin wusste aber, dass es mein erstes Mal war, aber der anderen wollte das nicht glauben. „Ganz sicher war das nicht seine erste Schlägerei,“ war er weiter überzeugt.
Vielleicht bin ich ja einfach ein Naturtalent im Schlägereien beenden. Ich überleg ja sowieso die ganze Zeit schon, ob ich als meine Fitness-Challenge nicht die Polizeiaufnahmeprüfung machen soll. Vielleicht sollte ich dann einfach gleich dort bleiben?